In mehr oder weniger regelmässigen Abständen taucht alle paar Jahrzehnte der Begriff «Der neue Mann» auf. Und da wir in einer Zeit leben, in der es kaum mehr etwas Neues gibt, sondern das Alte wird vielmehr neu verpackt, stelle ich mir die Frage, was neu ist am «Neuen Mann».
Da das Neue nur in der Abgrenzung zum Alten existiert, gilt es für «den neuen Mann», sich gegenüber dem «Alten Mann» abzugrenzen. Könnte man sagen «der alte Mann» war in patriarchalen Männerbildern gefestigt, während der «Neue Mann» sich vor allem dagegen abgrenzt? Das könnte eine erste Antwort sein. Ein Blick in die Geschichte der Männerbewegung zeigt, dass das Neue nicht wirklich neu ist.
Bereits 1982 sang Ina Deter «neue Männer braucht das Land». Das Lied mit einer Botschaft an die Männerwelt war ein Produkt aus der Frauenbewegung. Doch der Begriff geht noch weiter zurück. Bereits in der Renaissance, in der Französischen Revolution und in der 68-Bewegung wurde der Begriff gewählt. Selbst die Nazies benutzen ihn im Sinne eines idealen Soldatentypus. In allen Zeiten ging es um „den Beginn einer Neukonstruktionen der Männlichkeit». 1998 zeigte eine deutsche Studie, dass „rund ein Fünftel der Männer so genannte «Neue Männer'“ sind, etwa ein Fünftel verhalten sich nach wie vor „traditionell“ und gaben den Platz der Frauen im Heim und am Herd. Dazwischen gibt es die grosse Menge der pragmatischen und unsicheren Männer, deren zukünftiges Rollenmuster eher noch unklar ist.
Wir sind also nicht wirklich neu – es sei denn wir empfinden intrapersonell uns selbst als neu. Demzufolge wäre das Neue mehr eine intrinsisch gefühlte Angelegenheit, als mehr eine Äussere? Tatsächlich kann ein äusserer Prozess nicht ohne einen inneren vollzogen werden, wenn Mann denn auch wirklich eine Veränderung vollziehen will.
Es geht um die Frage, welche Männlichkeit neu konstruiert werden soll? Geht es um das Geschlechterverhältnis in Erwerbsarbeit und Erziehungsarbeit? Oder vielmehr um den Rückgriff auf Archetypen um Männlichkeit aktiv zu leben? Oder um das positive männliche Selbstbild, das sich vorwiegend in der Abgrenzung zum Feminismus definiert? Oder gerade um das Gegenteil, die «weiblichen Eigenschaften» zu integrieren? In der Männerbewegung gibt es viele Ansätze.
Sprechen wir vom «Neuen Mann» öffnet sich bei mir ein grosses Fragezeichen und auch ein Widerstand. Die Inbesitznahme des Begriffs und die reflexartige Überstülpung auf alle Männer würde wohl kaum von einer differenzierten Wahrnehmung einer neuen Männlichkeit zeugen. Denn die Wahrnehmung eines «Neuen Mannes» ist weitestgehend abhängig von der Lebenswelt, in der Mann steckt und seiner gerade aktuellen persönlichen Wachstums- und Identifikationsphase. Und diese Lebenswelt ist in einem stetigen Prozess der Erneuerung und zutiefst individuell. Um genau dieser Unterschiedlichkeit zur Bedeutung zu verhelfen, müsste sowohl eine alte und eine neue Männlichkeit in allen Schattierungen Platz finden.
In diesem Sinne bleibt der Forschungsauftrag für Mann darin, sich in erster Linie selbst zu entdecken und die Individualität hoch zu halten - weniger in der Abgrenzung gegenüber anderen Männern und Frauen, sondern vielmehr in der Vervielfachung der unglaublichen Vielgestaltigkeit von männlichen Lebenswelten. Wäre das dann «der individuelle Mann»? In meiner Arbeit mit Männern erlebe ich genau diesen Ansatz als wirkungsvoll. Obwohl wir nicht darum herumkommen, uns mit Ideen und Konzepten auseinanderzusetzen, besteht meines Erachtens der Werdegang zu einer neuen Männlichkeit darin, uns nicht mit diesen zu identifizieren. Wir würden gebunden sein an Vordenker. Mann wird zur Kopie. Doch eine gesunde Maskulinität impliziert aus meiner Sicht einen individuellen Mann, der, bestenfalls mit Freude an seinem Körper, an seiner sexuellen Lust und an seiner ganz eigenen, persönlichen Art seine Beziehungs-, Arbeits- und Familienwelt gestaltet.
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