· 

Wenn Männer nicht das sein wollen, was sie fühlen

Wenn Männer nicht das sein wollen, was sie fühlen.
 
In meiner Arbeit als Paartherapeut erlebe ich immer wieder Situationen, in denen Männer sich innerlich von ihrem Gegenüber zurückziehen. Irgend etwas scheint bedrohlich zu sein, wenn Gefühle ins Spiel kommen.
 
Es ist ja nicht so, dass Männer keine Gefühle haben. Doch im Gegensatz zur Frauenwelt gibt es eine ganze Reihe von Gefühlen, die Männern abtrainiert wurden. Gemeingesellschaftlich erlaubt sind Eigenschaften die das Selbstbewusstsein des Mannes stärken, also Entschlossenheit, Entscheidungskraft, Souveränität, Unerschütterlichkeit. Alles Eigenschaften, die Männern helfen, auf eigenen Beinen zu stehen und ihre Welt zu gestalten. Man könnte auch sagen, Eigenschaften, die helfen Kontrolle über unerwünschte Gefühle und unsichere Situationen zu erhalten. Warum fällt es Männern so schwer, beziehungsrelevante Gefühle zu erlauben? Gefühle wie „ich will nicht alleine sein“, „ich brauche dich“, „ich will von dir gebraucht werden“,  „ich will dazu gehören“ usw. Dies zuzulassen könnte bedeuten, das antrainierte Ideal von Stärke (Macht) und Selbstbestimmung (Einflussnahme) abzuschwächen. Und welcher Mann würde sich selbst als schwach, machtlos, fremdbestimmt und beeinflussbar benennen? Solche mit Scham besetzte Attribute dürfen nicht sein. Sie werden in Kinder- und Jugendjahren wegtrainiert. Leider führt dies dazu, dass Mann in späteren Jahren das Gefühl hat, „etwas fehlt“. Und dieses „Fehlende“ empfindet Mann dann oft als „ich bin nicht Mann genug“, mit der unheilvollen Wirkung, dass er noch mehr die „schwierigen“ Gefühle zur Seite schiebt und sich einseitig am stereotypischen Bild des starken Mannes orientiert. Soziales Machtstreben ist angesagt und wir erleben es alltäglich in der Berufswelt, im Sport, in den Medien, in Familien und oft subtil und unterschwellig auch in „fortschrittlichen“ Männerkreisen.
 
Das Fühlen an sich gehört zum Kennenlernen des Mannwerdens. Die meisten Frauen trainieren bereits in jungen Jahren über Gefühle zu reden. Männer müssen dies nachholen. Die Annäherung an schwierige, beängstigende Gefühle kann jedoch erstmals Gefahr bedeuten. Doch allein schon diesen Zustand wahrzunehmen und anzuerkennen, ist bereits ein erster Akt, um den gefühllosen Männerkörper zu beleben. Erst hier öffnet sich der Erfahrungsraum, was Beziehung sein kann: die Hingabe an das eigene innere Erleben der Schattenseiten, um damit andern Menschen selbstbewusst zu begegnen.
 
Männer, die gelernt haben, ihren Körper mit Gefühlen zu bewohnen, müssen andere starke und schwache Männer und Frauen nicht mehr ablehnen. Sie erlauben sich „stark“ und „weich“ zu fühlen und erleben sich selber als wert- und würdevoll. Als Therapeut besteht ein wesentlicher Teil meiner Arbeit darin, sozialisierte Männerbilder zu hinterfragen, um anschliessend ein selbst geschaffenes Verständnis von Mann zu erhalten. Dieser Prozess von Mannwerdung, der auch am MännerSymposium erforscht wird, kreiert Werte, die helfen können, Beziehungen authentischer zu gestalten und damit eine „bessere“ Welt zu schaffen.
 
Philipp Steinmann