Innere Arbeit mit Gefühlen und Körperwahrnehmungen
Jeder und Jede von uns hat schon diese Wahrnehmung von sich selber gehabt, dass sich etwas anbahnt. Oft merken wir es daran, dass eine alltägliche Situation oder eine Handlung sich anders anfühlt als gewohnt. Wir nehmen es wahr als «etwas stimmt nicht mehr» oder «etwas ist anders». Wir können es nicht erklären. Es ist nicht viel mehr als eine Ahnung, eine nebelhafte Wahrnehmung einer inneren Veränderung. Etwas Unbestimmtes meldet sich in uns - etwas will angeschaut werden.
Eine Möglichkeit mit solchen Ahnungen umzugehen, ist sie zur Seite zu legen und unserem alltäglichen Tun weiter zu folgen. Je nach Umständen bleibt nichts anderes übrig. Oft melden sich diese Ahnungen jedoch erneut in einer anderen Form, in einer anderen Gestalt. Sie flirtet quasi mit uns. Sie will Aufmerksamkeit. Wenn wir diese Impulse (und damit uns selber) ernst nehmen, können wir neue Erfahrungen und Erkenntnisse über unsere Persönlichkeit gewinnen - das heisst, die Spurensuche beginnen und sich dieser Wahrnehmung zuwenden. Einerseits arbeitet sich dieses Gefühl von alleine unserer Bewusstheit entgegen, andererseits können wir mit innerer Arbeit den Weg dazu frei machen. Es geht um den Kontakt mit den tief liegenden Gedanken und Mustern.
In diesen Kontaktversuchen können wir über verschiedene Zugänge (Kanäle) arbeiten. Meist wechseln sich diese auch ab. Solche Kanäle können visuell sein (innere Bilder, Imaginationen), akustisch (in Form von Stimmen die wir hören), körperlich (Spannungen, Schmerzen, Taubheiten usw.), beziehungsorientiert (andere Menschen übernehmen Rollen im inneren Szenario) und weltlich (von mir nicht steuerbare Anteile, ich bin nur ein Teil dieser Welt).
Verschiedene Kanäle der Wahrnehmung
Beim Versuch, den vagen Ahnungen eine konkrete Gestalt zu geben, probiere ich die verschiedenen Kanäle aus. Ich erlaube mir zum Beispiel genau hinzuschauen. Ich wende meine Augen nach innen und suche eine stimmige Form. Ist das Gefühl eckig, rund, blau, rot? Wie sieht es aus? Auf dem Körperkanal wäre es die Frage, wie reagiere ich körperlich. Ist es ein Ziehen, ein Drücken, ein Aufsteigen, ein Ausdehnen? Wie spüre ich meinen Körper an dieser Stelle? Auf dem Beziehungskanal tauchen Menschen auf, die mir etwas sagen oder auf etwas aufmerksam machen. Im akustischen Kanal könnte ich Sätze zu mir selber sagen, die möglichst genau mit dem Gefühl in Resonanz gehen. Z.B. Ich bin wütend oder ich bin ärgerlich oder... Welche Worte muss ich wählen, damit sie genau beschreiben, was in mir drin los ist. Es geht darum die Nuancen herauszufinden, damit die Wahrnehmung mit dem Gefühl übereinstimmt. Und jeder Mensch hat eine innere Instanz, die weiss, ob ich ganz nah oder ganz weit weg bin von meinem Gefühl. Immer geht es darum herauszufinden, welche Form von Kontakt hilft mir, in einen intensiven und direkten Zugang mit dem Gefühl oder der Körpersensation zu kommen.
Das Gefühl und die Wahrnehmung vom Gefühl sind nicht dasselbe.
Ist das Gefühl erst einmal klarer fassbar, kann es wirkungsvoll sein, mitten in das Gefühl hinein zu gehen, quasi das Gefühl zu werden. Das kann sich so anfühlen, als ob der ganze Körper mit diesem Gefühl gefüllt wird. Manchmal ist es jedoch angebracht, von aussen auf die Emotionen zu schauen, an der Grenze zu bleiben und nur der eigene Beobachter der Veränderungen zu sein.
Kontaktstörungen
Bei diesem Beobachtungsprozess können wir oft feststellen, wie wir abweichen, uns wegtreiben lassen, uns selber hindern. Wir sind gefangen in unserem eigenen Regelwerk – ein Konstrukt aus Gefühlen, Gedankenmustern und Körperdynamiken.
Nicht mit dem Wahrnehmungsprozess verbundene Gedanken überdenken blitzschnell eine Körperempfindung. Kaum ist sie wahrnehmbar, schon wird sie durch innere Stimmen verändert oder zugedeckt. Kommen wir in die Nähe eines Gefühls, schon weichen wir ab in die Fantasie. Wir sind programmiert, den Kontakt zum Kern unserer Innenwelt abzuschwächen oder ganz zu unterbrechen. Kontaktveränderungen haben viele Formen. Alle gemeinsam ist, dass sie den Zugang oder das Tor zu Geschehnissen verhindern, die unangenehm oder unbekannt sind. (siehe unter Lesenswert «Der Umgang mit Kontakt und Kontaktstörungen»)
Gelingt es uns aber, in einem innigen Kontakt mit dem Kern eines Gefühls zu sein und dabei zu bleiben, können Erkenntnisse über unser Handeln auftauchen. Gleichzeitig verändert sich das Gefühl von alleine. Was schmerzlich und eng war, wird leicht und weit, was sich wirbelnd und nervös anfühlt, gewinnt plötzlich Langsamkeit und etwas sinkt zu Boden. Diese Zustände werden oft als befreiend erlebt. Etwas darf sein. Das Undefinierbare wird zu einer erlösenden Form. Worte können diese Zustände oft nicht beschreiben und das Befreiende ist dieser körperliche Zustand. Die Verkörperung der (neuen) Haltung ist die Heilung – die Verbalisierung kommt vielleicht später.
Philipp Steinmann
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