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Männer brauchen Männer, denn jede Minute stirbt ein Mann an Suizid

Per Zufall bin ich auf die Webseite www.movember.com gestossen und bei der Aussage hängengeblieben, die mich betroffen machte: «unsere Väter, Brüder, Söhne und Freunde sterben durch Suizid. Jede Minute eines jeden Tages». Und in der Schweiz? Gemäss dem Bundesamt für Statistik* waren im Jahr 2017 von 1043 Suizidfällen 773 Männer und 270 Frauen, also fast dreimal so viele. Und nicht erfasst ist suizidales Verhalten wie riskantes Autofahren oder verlangsamte Reaktionen, die knapp am Tod vorbeiführen. Damit könnte man sagen: Suizid ist vor allem Sache der Männer. (Obwohl bei Frauen dreimal so häufig eine Depression diagnostiziert wird).

Auch in meiner Praxis stelle ich immer wieder fest, das Suizid mehrheitlich ein Thema von Männern ist. Bei der überwiegenden Mehrheit sind es «nur» gedankliche Alternativen, die nicht in eine Handlung führen. Trotzdem ist es erschreckend, dass so viele Männer als Ausweg aus einer Situation den Suizid als Möglichkeit erachten. Mit welchem männlichen Selbstbild sind Männer unterwegs, dass der Suizidgedanke das Ende einer Gedankenkette ist, wenn andere Lösungsmöglichkeiten nicht mehr greifen? Was haben wir Männer nicht gelernt?

Die Suizidforschung zeigt, dass das Glück der Männer an den Frauen hängt. Denn
Männer, die sich das Leben nehmen, sind in den allermeisten Fällen unfreiwillig Single: verwitwet, geschieden, getrennt. Verlassene Männer stehen oft vor dem sozialen und emotionalen Nichts. Gilt dies nur für Heteromänner oder grundsätzlich für Männer in Beziehungen? Statistische Zahlen liegen hier nicht vor. Es ist jedoch auffällig, dass Männer wesentlich schlechter und weniger Hilfe suchen als Frauen. Der starke Mann, der nicht über seine Nöte spricht, alles mit sich selber ausmacht und keine Schwächen im Aussen zeigt?  Zumindest in unserer Kultur ist trotz vielen Fortschritten immer noch der Leistung erbringende und damit meist verpanzerte Mann ein alltägliches Bild.

Mann geht weitgehend immer noch davon aus, dass ER das Problem lösen muss und kann - sei es im familiären oder beruflichen Umfeld. ER ist zuständig für Lösungen, Problembeseitigung und Einkommenssicherung. Zugrunde liegt ein Leistungsanspruch, der zutiefst eingraviert ist in neuronale Bahnen und täglich im beruflichen Umfeld gefordert wird. Doch die mehrheitlich lineare Leistungslogik aus der Berufswelt lässt sich nicht auf die Seelenwelt übertragen. Trotzdem versuchen viele Männer mit diesen Mitteln sich durch die Gefühls- und Beziehungswelt zu navigieren.

Wie anders wäre es, wenn Mann nicht den Anspruch hätte, dass ER Probleme selber löst? Wie anders wäre es, wenn Mann gleich zu Beginn einer Ungereimtheit Unterstützung und Hilfe holt. Und ich spreche hier nicht nur von seelischen Nöten, sondern auch von alltäglichen Dingen. Wenn Mann sich selber genug Freund wäre und den Anspruch aufgibt, die Dinge alleine regeln zu müssen. Doch vielen Männern fällt es ungleich schwerer als Frauen, Bedürftigkeit und Hilfslosigkeit zu zeigen. Dazu braucht es die grundlegende Voraussetzung die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und benennen zu können. Wer das nicht kann, kann nicht darüber sprechen. Und die Männerforschung zeigt auch, wenn Männer sich jemandem öffnen würden, dann meist den Frauen gegenüber. Leider. Doch Männer brauchen andere Männer, denn Männer fragen und reden anders als Frauen.

Bei der Unterstützung Mann zu Mann genügt es nicht, männliche Verhaltensrezepte und archetypische Männerbilder zur Verfügung zu stellen. Diese greifen zu kurz. Die Gefühlswelten und Situationen sind zu komplex und die Anforderungen zu vielfältig. Eines sollte mittlerweile gewiss sein: Mann kann nicht mehr allein sich selbst und die Welt retten.

Wir brauchen den gemeinsamen Dialog über das was uns Angst macht. Wie gehen wir Männer mit unlösbaren Problemen um? Wir brauchen konstruktive Dialoge um herauszufinden, wie wir uns gegenseitig empathisch unterstützen und begleiten können, um aus der Versagensspirale des Leistungsanspruches herauszufinden. Wenn der Titel zu diesem Text stimmt, haben sich in der Zeit, in der du diesen Text liest, fünf Männer das Leben genommen. Das betrifft, macht mich nachdenklich und auch hilflos. Und wenn ich davon ausgehe, dass ein wertfreies Zuhören diesen Männern geholfen hätte, macht mich das einerseits noch trauriger und andererseits ruft es mich auf, Gespräche zu initiieren und zuzuhören.

 

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*https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit.assetdetail.11348855.html

Einen weiteren Artikel über Männersuizid habe ich hier gefunden: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article140153773/Warum-die-Suizidrate-bei-Maennern-hoeher-ist.html

 

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